CDs
|
NEUES AUS
DER MUSIKWELT
Ludw ig van Beethoven u.
i
KONZERT NR. 5 U. A.
Yundi Li, Berliner Philharmoniker, Daniel Harding
DG/Universal CD__________________ (
67
')
Als Yundi Li 2000 mit gerade ein-
mal 18 Jahren den Warschauer Cho-
pin-Wettbewerb gewann und sich
damit in eine Reihe stellte mit Mau-
rizio Pollini (i960), Martha Arge-
rich (1965) oder Krystian Zimerman
(1975), ruhten die Hoffnungen der
Musikwelt auf diesem höchst ta-
lentierten Pianisten. Heute, 14 Jah-
re später, hat Li stärkere und schwä-
chere Aufnahmen präsentiert, die
großen Hoffnungen aber bisher
nicht vollends bestätigen können.
Und gerade diese neue Einspielung
wirft die Frage auf, ob Lis gestalte-
rische Fähigkeiten wirklich reichen,
um jemals in den Klavierolymp sei-
ner Vorgänger vorzustoßen.
Natürlich kann Yundi, wie er sich
heute nur noch nennt, Klavier spie-
len. Rein technisch bewältigt er bei-
de Werke problemlos. Aber wenn
man beispielsweise seine Interpre-
tation des Beethoven-Konzertes mit
der Referenzaufnahme eines Alfred
Brendel vergleicht, hört man sofort
die Defizite in Lis Spiel. Wo Brendel
im Adagio eine scheinbar unend-
liche Melodie formt, spielt Li nur
Sechzehntelläufe. Wo Brendels In-
terpretation im Rondo-Finale musi-
kantische Züge trägt, indem er bei-
spielsweise auch die Sprünge in der
linken Hand hervorhebt, klingt Lis
Sichtweise fast schon maschinen-
haft-virtuos, hier kommt auch ein
zwischenzeitliches „dolce“ kaum
zum Tragen.
Stärker wirkt Lis Version von Schu-
manns „Fantasie“. Das Leidenschaft-
liche, Energische in Schumanns Mu-
sik scheint ihm zu liegen. Allerdings
zeigt auch hier ein Vergleich mit den
Warschauer Kollegen Argerich (EMI)
und Pollini (DG) Grenzen auf. Das
„Fantastische“, die Kontrapunktik,
auch der gesamte Piano- und Pia-
nissimo-Bereich in Schumanns Werk
ist bei Yundi nicht in den besten Hän-
den. Man wünscht ihm für die Zu-
kunft, dass seine Kunst noch reifen
möge!
Gregor Willmes
MUSIK ■
KLANG ★ ★ ★ ★
E llio tt Carter
Ul
THE FIVE STRING QUARTETS
The Juilliard String Quartet
Sony
2
CDs_____________________ (
138
]
Elliott Carter war ein Phänomen.
Nicht nur, weil der Grandseigneur
der amerikanischen Gegenwarts-
musik ein biblisches Alter von 103
Jahren erreichte und bis 2012 uner-
müdlich komponierte. Er war es vor
allem deshalb, weil er den expres-
siven Geist der Schönberg-Schule
in eigenen Konzepten überzeugend
weiterführte. Mit dem Juilliard Quar-
tet verband Carter eine langjährige
freundschaftliche Zusammenarbeit.
Die Aufnahmesitzungen zu seinen
Streichquartetten wurden intensiv
vom Komponisten begleitet, um si-
cherzustellen, dass seine teuflisch
komplexe Polyphonie eine klang-
lich authentische Form fand.
Die Einspielung der ersten vier
Quartette erschien bereits 1991,
ergänzt nun durch Carters fünftes
Quartett von 1995. Es ist eine Rei-
se durch eine manchmal an sich
selbst irre gewordene Expressivi-
tät alter Schule. Schon Carters Gat-
tungspremiere wartet mit einer fu-
riosen, emotional aufgewühlten Po-
lyphonie auf, die glühenden Aus-
druck und komplexe Zeitgestal-
tung in eins denkt. Ein Anknüpfen an
Bartok, Schönberg und Berg, erwei-
tert um die Errungenschaften von
Charles Ives, wenn man so will. Das
im zweiten Quartett (1959) konse-
quent weiterentwickelte egozentri-
sche Eigenleben der Stimmen findet
im dritten eine kaum noch zu über-
bietende Komplexität: Als wären
verschiedene Kompositionen über-
einandergeschichtet, bringen zwei
selbstständige Duos das Streich-
quartett an den Rand der Auflösung.
Extreme Virtuosität und unglaub-
liches Koordinationsvermögen sind
Voraussetzung dieser elektrisie-
renden Interpretation des Juilliard
Quartet, das (mit Joseph Lin und
Ronald Copes in den Violinen neu
besetzt) jede Geste mit ungeheurer
Intensität und Bedeutung auflädt.
Dirk Wieschollek
MUSIK ★
★
★
★
★
KLANG ★
★
★
★
★
R obert Schumann
SINFONIEN NR. 1-4
Chamber Orchestra of Europe, Yannick
Nézet-Séguin
DG/Universal
2
CDs________________[
124
]
Die Konkurrenz von Paavo Järvi und
der Deutschen Kammerphilharmo-
nie Bremen (siehe CD des Monats)
braucht Yannick Nezet-Seguin bei
Schumann nicht zu fürchten. Er
setzt der hochgelobten Deutung
des Esten eine nicht minder span-
nende, ja sogar noch mehr unter
die Haut gehende entgegen.
Leidenschaftlich und furios ist
Nezet-Seguins Schumann von der
ersten bis zur letzten Note, fast
schon ein wenig überdreht. Man-
che Passagen im Allegro non troppo
der zweiten Sinfonie scheinen sich
an der Schwelle zum Neurotischen
zu bewegen. Als Hörer kommt man
da jedenfalls schon außer Atem.
Der Unterschied zu Järvi wird im
Scherzo dieser Sinfonie deutlich:
Järvi hat die größere Übersicht, der
Satz wirkt bei ihm präziser ausge-
leuchtet. Der junge Kanadier dage-
gen geht beim Tempo bis zum An-
schlag, dirigiert weniger analytisch,
ist stattdessen dem Irrwitz dieser
Musik auf der Spur.
Schumanns Sinfonien werden
hier als Abbild der zerrissenen
Seele des Komponisten präsen-
tiert. Das rheinische Leben, das in
der dritten pulst, entpuppt sich als
zwischen Aufgekratztheit und Ver-
zweiflung pendelnde Unrast. Wer je
geglaubt hat, diese Sinfonie sei ein
heiteres Genrebild, wird hier eines
Besseren belehrt. So klingt die Kir-
chenszene des vierten Satzes weni-
ger erhebend als spukhaft-unheim-
lich. Auch dem Larghetto der ersten
Sinfonie treibt Nezet-Seguin die Be-
schaulichkeit zugunsten bedroh-
licher Untertöne aus. Dass er vor
Theatralik nicht zurückscheut, zeigt
er in deren Finale: Ein wiederholt
vorkommendes Unisono-Motiv der
Streicher wird jedes Mal mit deut-
licher Verlangsamung gespielt, als
wäre dies eine dramatische Geste.
Andreas Friesenhagen
MUSIK ★
★
★
★
★
KLANG ★
★
★
★
★
______________
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
KLASSIK
Mo«»"
A lfre d S chnittke, Francis
ІЩ
Poulenc, W illiam s W alton u .Ü T
DUOS FÜR VIOLINE UND KLAVIER
Duo Gazzana
ECM/Universal CD_________________(
63
]
Mit diesen Einspielungen bestätigen
die Geschwister Natascia und Raffa-
ella Gazzana den Eindruck ihrer ers-
ten CD. Blendend aufeinander ein-
gestellt, duettieren sie perfekt. Das
Spielverständnis wirkt geradezu de-
ckungsgleich, als ob Violine und Kla-
vier womöglich vom selben Musiker
gespielt werden. Dabei scheinen sie
sich verpflichtet zu fühlen, das un-
bekanntere Repertoire zu erkunden,
das sich denn auch, wie die hier be-
dachten Werke, als mehr als bloß
„beachtlich“ erweist. Zudem stel-
len sie wieder eine sinnvoll aufei-
nander bezogene Werkfolge zu ei-
nem originellen Programm zusam-
men - hier die vielfältigen Mög-
lichkeiten, originär historische Mu-
sik gewissermaßen mit zeitgenös-
sischen Mitteln nachzukomponie-
ren, ohne in billige Imitationen zu
verfallen.
Das gilt nun freilich weniger für
die wunderbar eingängige Violin-
sonate von Poulenc. Doch Walton,
Schnittke, Dallapiccola oder Sil-
vestrov vergegenwärtigen mit ih-
ren Stücken unmittelbar Musik des
Barocks. Es bestätigt die beeindru-
ckende Interpretationskunst des
Duos, dass es diese Stücke nach
den kompositorischen Intentionen
differenziert auslegt: Waltons Tocca-
ta spielt es angriffig-konzertant, Dal-
lapiccolas Tartiniana seconda eher
kammermusikalisch-intim, Schnitt-
kes seltsame Suite im alten Stil wie
eine verunsichernd-täuschende Stil-
kopie, Silvestrovs bemerkenswerte
Hommage an J. S. B. mit gleichsam
respektvoller Ergriffenheit.
Was ein wenig in diesen Einspie-
lungen fehlt, ist gewissermaßen der
rein musikalische Glanz, der zum
Hinhören sowohl zwingt als auch
verführt. Und leider scheut sich das
Duo auch etwas, die durchaus un-
terhaltungsmusikalischen Züge der
Poulenc-Sonate genussvoll auszu-
spielen.
Giselher Schubert
MUSIK
KLANG
STEREO 7/2014 147